Systemik + Agilität

Immer öfter fällt mir im Zusammenhang mit agilen Coaching oder im Rahmen meiner agilen Community und Meetups/ Konferenzen das Thema Systemisch bzw. systemischer Ansatz vor die Füße. Ich finde das sehr spannend, dass die agile Community nun Stück für Stück den systemischen Blick und Coaching-Ansatz entdeckt. Denn ich persönlich habe mich zuerst im Rahmen meines Studiums mit systemischer Beratung beschäftigt und dann wenig später bei meinem ersten Job nach dem Studium die agile Projektarbeit kennengelernt. Die Verbindung beider Welten gelingt nun in meiner Arbeit als Scrum Master und Agile Coach.

In dieser Podcastfolge möchte ich  den Begriff „systemisch“ etwas näher beleuchten und aufzeigen, wie die systemische Haltung und die systemische Schleife im Coaching von (nicht nur agilen) Teams und im Rahmen der Organisationsentwicklung helfen kann.

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Definition systemisch

Der Begriff „systemisch“ ist auf die Systemtheorie zurückzuführen, die  einen multidisziplinärer Ansatz zum Verständnis komplexer Systeme und ihres Verhaltens darstellt. Die Ursprünge der systemischen Theorie lassen sich bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückverfolgen, als Biologen, Physiker und Mathematiker begannen, das Verhalten lebender Organismen und die Prinzipien, die ihre Wechselwirkungen bestimmen, zu untersuchen.

Im deutschsprachigen Raum ist der Soziologe Niklas Luhmann sehr bekannt, der im 20. Jahrhundert seine soziologische Systemtheorie entwickelte. Sie hilft uns die Gesellschaft als ein komplexes System zu verstehen, das aus verschiedenen Subsystemen mit jeweils eigenen Regeln, Strukturen und Funktionen besteht.

Luhmanns Theorie betont die Bedeutung der Kommunikation und die Rolle, die sie bei der Aufrechterhaltung und Veränderung sozialer Systeme spielt. Laut Luhmann sind soziale Systeme selbstreferentiell, d.h. sie sind auf ihre eigenen internen Prozesse und Kommunikation angewiesen, um zu funktionieren und sich anzupassen. Diese Selbstreferentialität ermöglicht es sozialen Systemen, ein gewisses Maß an Autonomie und Unabhängigkeit von anderen Systemen zu bewahren.

Luhmann identifizierte drei Arten von sozialen Systemen:

  1. soziale Systeme,
  2. psychische Systeme und
  3. soziale Systeme mit Bewusstsein.

Zu den sozialen Systemen gehören politische, wirtschaftliche und rechtliche Systeme. Psychische Systeme beziehen sich auf individuelle kognitive und emotionale Prozesse, während sich soziale Systeme mit Bewusstsein auf Systeme beziehen, die ein Selbstbewusstsein oder die Fähigkeit entwickelt haben, sich selbst zu reflektieren.

Systemischer Blick auf Change

Der systemische Blick auf Team- und Organisationsentwicklung hilft uns zu verstehen, dass Change komplexer ist und kein „Reset“ bedeuten oder aufgedrückt werden kann.

Die systemische Sichtweise im Zuge von Teamveränderungen bewirkt, dass wir Teams als Teil eines größeren Systems (der Organisation) verstehen und dass sich Änderungen innerhalb des Teams auf das größere System auswirken und von diesem beeinflusst werden können. Anstatt ein Team isoliert zu betrachten, berücksichtigt eine systemische Sichtweise die verschiedenen internen und externen Faktoren, die die Leistung des Teams beeinflussen können, wie z. B. Organisationskultur, Führung, Ressourcen, Kommunikation und den breiteren sozialen und wirtschaftlichen Kontext.

Die systemische Haltung

Die systemische Haltung umfasst verschiedene Denkweisen, Haltungen und Ansätze, die im Coaching hilfreich sind. An dieser Stelle möchte ich stellvertretend 5 auswählen, die mich in meiner Coaching-Arbeit mit Teams oder Führungskräften leiten.

Ressourcenorientierung

Durch die Ressourcenorientierung wird der Blick auf das gelenkt, was Menschen an Fähigkeiten, Erfahrungen und Beziehungen mitbringen. Diese Ressourcen sind zur Problembewältigung notwendig.. Aufgabe des Coaches ist diese „Schätze“ zu heben und dem Coachee bzw. dem Team diese Ressourcen bewusst/klar zu machen.

Respekt vor der Autonomie

Dahinter steht die Annahme, dass Menschen sich nicht einseitig beeinflussen oder zielgerichtet verändern lassen. Aus dieser Haltung heraus entsteht Respekt und Achtung vor der Autonomie jedes einzelnen Menschen, die diese aus einer Eigenlogik heraus handeln lassen.

Lösungsorientierung

Durch die Lösungsorientierung wird konsequent das gewünschte Ziel fokussiert und alles was auf dem Weg dahin hilfreich ist. Es werden hypothetische Lösungen erkundet um daraus Ideen zu gewinnen und Maßnahmen abzuleiten.

Wertschätzung

Eine positive Grundhaltung, die von Wertschätzung geprägt ist, bezieht sich auf eine Person als Ganzes und deren Einmaligkeit und nicht nur auf einzelne Verhaltensweisen, Leistungen oder Erfolge. Wertschätzung zeigt sich in Zugewandtheit, Interesse, Aufmerksamkeit, Freundlichkeit und ein Blick, der sich auf Stärken und Ressourcen richtet.

Allparteiligkeit & Neutralität

Ein Coach bezieht keine Stellung und positioniert sich nicht dauerhaft auf einer Seite, auch wenn die Perspektive der einzelnen Teammitglieder geachtet und empathisch zugehört wird. Er oder sie verhält sich zudem neutral gegenüber den Wirklichkeitskonstruktionen der einzelnen Teammitglieder und anderer Mitglieder des Systems. Das heißt unter anderem gegenüber ihren Werten, Vorstellungen, Entscheidungen und Lebensent­würfen.

In weiterer Literatur finden sich weitere Ansätze und Prinzipien, die die systemische Haltung kennzeichnen. Wer in der agilen Welt unterwegs ist, dem wird das systemische nicht fremd sein, denn beide Fachrichtungen ähneln sich in ihren Werten und Prinzipien.

Die systemische Schleife

Warum das Systemische so gut zu Agilität passt wird für mich spätestens bei Betrachten der Vorgehensweisen deutlich. Eine gute Navigationshilfe zur Orientierung bietet im systemischen Coaching die systemische Schleife, die durch ihr „inspect & adapt-Prinzip“ der Scrum-Schleife nicht nur optisch sehr ähnlich sieht.

Die einzelnen Schritte des systemischen Coachings sind:
  1. Informationen sammeln: Beboachten (offensichliches und nicht offensichtliches) und alle Informationen aufnehmen, die sichtbar werden.
  2. Hypothesen bilden: an Hand der Beobachtungen Annahmen im Konjunktiv treffen – mit der konstruktivistischen Haltung des Nicht-Wissens.
  3. Hypothesen priorisieren/prüfen: Wenn mehrere Hypothesen getroffen wurden, dann sollten diese nach Priorität noch mal „sortiert“ werden bzw. in einem weiteren Gespräch auf Ihre Gültigkeit überprüft werden.
  4. Interventionen planen:  Maßnahmen, Methoden, Werkzeuge oder Visualisierungen etc. auswählen, die zur Lösung des Problems hilfreich wären. Sie sollten zur Zielgruppe passen und konkret sein, aber nicht zu langfristig geplant sein.
  5. Interventionen erproben: Die ausgewählten Maßnahmen mit Klarheit und Empathie durchführen oder Methoden einsetzen.
  6. Ergebnis reflektieren: Wie hat es funktioniert? Ist das erhoffte bzw. gewünschte Ziel eingetreten? Wenn nur teilweise oder nein: Was hätte es stattdessen/ zusätzlich gebraucht?
  7. Auswertung und nächste Schritte: Was bleibt offen, was könnte weiteres versucht werden? Wenn etwas nicht funktioniert hat, dann ist ok und möglicherweise muss die Hypothese zu Beginn korrigiert werden. Weitere Interventionen können sich aus den neuen Erkenntnissen ergeben.

Es wird deutlich, dass in diesem iterativen Coaching-Vorgehen ähnliche Phasen stecken wie im agilen. Gleichzeitig wird sichtbar, dass die Reflektionsphase (z.B. in Form einer Supervision) auch hier eine ganz wesentliche Rolle spielt.

Zusammenfassung

Die systemische Haltung ist dem ailen Vorgehen sehr nah, sie bauen auf einer ähnlichen menschenzentrierten Haltung und Wertebasis auf. Zugleich findet sich das inspect & adapt Prinzip im Vorgehen bei der Lösungsfindung wieder. Systemische Methoden und systemische Fragetechniken können die Coaching-Arbeit mit agilen Teams deshalb bestens unterstützen und die Entwicklung der Reflektionsfähigkeit innerhalb des Teams fördern.

Weitere Literatur und Links

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