Verbunden mit der Tatsache, dass Teiltzeitmitarbeiter meistens produktiver, engagierter und (zumindest mental) mehr arbeiten als die vertragslich vereinbarten Stunden, plädiere ich dafür endlich öffentlich zu diskutieren, ob das alte Teilzeit-Vollzeit-Modell überhaupt noch zeitgemäß ist.
#TeilzeitPerspektiven ist eine Mini-Interview-Reihe von Melanie Belitza im Anschluss an die Blogparade Teilzeit, um noch mehr über die vielfältigen Perspektiven der AutorInnen zu erfahren.
In dieser Woche hat sich mich mit Bezug auf meinen Blogartikel vom Juli gefragt:
Du hast noch nie in Vollzeit gearbeitet – wie sah Dein persönliches Lebens- und Arbeitsmodell bei Deinen bisherigen Stationen aus?
Miriam: Ich habe mit 25 mein Studium abgeschlossen und dann an der Uni als wissenschaftliche Mitarbeiterin angefangen. Da sind Teilzeitverträge (50% Arbeitszeit) Standard, mein ganzes Team am Lehrstuhl arbeitete vorwiegend in 20h-Stellen. Einige Doktoranden splitten ihre Stellen auf, weil sie z.B. neben der Lehrstuhltätigkeit noch in Projekten über Drittmittelfinanzierung arbeiteten. Da ich dann nach 15 Monaten in eine Eltern(auszeit) ging, stellte sich für mich aus Gründen der Vereinbarkeit auch nie mehr die Frage in Vollzeit zu arbeiten. Als ich nach der Uni in die Wirtschaft wechselte, arbeitete ich in 50-75%-Stellen. Während der zweiten Elternzeit fing ich 8 Monate nach der Geburt im StartUp mit 8h/Woche wieder an. Ich arbeitete also immer so, wie es für mich und die Lebenssituation unserer Familie am besten passte.
Man könnte jetzt sagen, dass ist die typische Teilzeit-Falle, in die Mütter geraten. Aber ich wollte es nie anders haben, da mir durch gesundheitliche Einschränkungen in der Vergangenheit meine psychische und physische Gesundheit sehr wichtig geworden ist.
Das Sprint Planning an der Uni basierte auf allen verfügbaren Arbeitsstunden der Teammitglieder – ganz ohne die sprachliche Trennung von Teil- und Vollzeit. Welche Chancen bietet agiles Arbeiten für flexible Arbeitsmodelle? Und gibt es ein paar Hacks, die sich Teams abschauen könnten, die nicht agil arbeiten?
Miriam: In unserem Scrum-Team waren Teilzeitmodelle Standard und deshalb keine Exoten. Die klare Kommunikation auf Augenhöhe über diesen Umstand war deshalb an der Tagesordnung:
Wer ist am Freitag nicht da? Wer kommt schon morgens um 7 Uhr und geht dafür mittags? Wer kommt eher später und bleibt bis 21 Uhr?
Im universitären, wissenschaftlichen Arbeitsalltag gibt es nur Vertrauensarbeitszeit. Und das führt dazu, dass jeder, der in einer Arbeitsgruppe arbeitet, recht schnell lernt sich selbst zu organisieren und mit seinen Teammitgliedern abzusprechen. Wir hatten einen Teamanwesenheits- und Urlaubskalender und haben bereits 2009 in der Cloud an Dokumenten kollaborativ gearbeitet. Feste Meetings, wie unser Daily Scrum um 10 Uhr oder das Sprint Review und Retrospektiven waren gesetzt und dann auch alle anwesend.
Agile Work-Hacks – basierend auf diesen Erfahrungen – kann ich dahingehend geben:
- klare Kommunikation und Transparenz schaffen im Team
- Strukturen schaffen (z.B. Kanban-Board als PM-Methode)
- das Projektziel als ein gemeinsames verstehen (Urlaubsplanung nicht als Ego-Trip)
- Sprint/Arbeits-Planung im Kollektiv mit Instrumenten wie z.B. Planning Poker schult sehr gut die Schätzung von Arbeitsaufwand- und Zeit
Auf ein Risiko des Teilzeit-Angestellten-Daseins hast Du in Deinem Artikel auch hingewiesen: Unbezahlte Überstunden, die man engagiert nicht nur einmal dran hängt. Hast Du einen Tipp, wie man das eigene Engagement und die vereinbarten Wochenstunden ins Gleichgewicht bringen kann? Wie man beidem gerecht werden kann?
Miriam: Es steht und fällt mit dem Selbstmanagement. Und es ist eine Frage ob ich den Job, für den ich bezahlt werde, nur mache um Geld zu verdienen oder weil ich ihn liebe und “es genau mein Ding” ist. Bei letzterem besteht die Gefahr, sich selbst auszubeuten. Viele Arbeitgeber wissen darum und dass z.B. engagierte Mütter und Väter oft mehr arbeiten als sie durch ihren Teilzeitvertrag entlohnt werden. Das ist ein gesellschaftliches Problem für das ich aber keine Lösung parat habe.
Tipps zu geben fällt mir auch schwer, da es ein Dilemma ist, dass ich – seit ich selbstständig arbeite – nicht mehr habe. Und es mir besser geht damit.
Insofern kann ich vielleicht nur anstupsen, dass der- oder diejenige überlegen kann, wohin sie diese zusätzliche Energie – die ja entsteht wenn man in einer Sache tätig ist, die einen voll und ganz erfüllt – umleiten kann. Einen Nebenjob aufbauen vielleicht, in dem man dann so “Herzensdinge” macht.
Aber eigentlich sollte der richtige Weg sein, dass der Arbeitgeber dein Engagement erkennt und dich dementsprechend in deiner Entwicklung fördert und (neu) höher entlohnt. Alles andere wäre Unterdrückung und Hemmung von intrinsischer Motivation und Freude am Arbeiten.
Mit HomeOffice bringst Du eine weitere Komponente flexibler Arbeitsmodelle mit ein, in der Du für Dich viele Vorteile siehst. Für die, die vielleicht bisher mit Remote noch nicht so ganz warm geworden sind oder sich nach all den Monaten zurück ins Büro sehnen: Was sind Deine persönlichen Top5-Empfehlungen für erfolgreiche Arbeit im HomeOffice?
Miriam: Da antworte ich doch gerne, da ich jetzt seit 2 ½ Jahren fast ausschließlich im Homeoffice arbeite:
- Struktur und Routinen schaffen: Rituale für einen simulierten Arbeitsweg morgens und abends sollen helfen, habe ich gehört. Da wir eine Familien-Morgenroutine haben und ich morgens aktuell das Kita-Kind weg bringe bevor ich mich an den Schreibtisch setze, brauche ich das persönlich nicht. Feierabend-Rituale können auch helfen. Auch hier hilft mir das Betreuungszeit-Ende der Kinder wieder sehr, wenn ich Abholdienst habe. 😉
- Ruhe zum konzentrierten Arbeiten nutzen: Ich kann mittlerweile in Großraumbüros gar nicht mehr konzentriert arbeiten, da mich Telefonate von anderen oder Störgeräusche auf dem Flur ablenken. Ich nutze aktuell die ruhige Zeit im Haus am Abend zum Texten. Das ist meine Texter-Zeit. Tagsüber lenken mich die vielen, vielen Telefonate und Videokonferenzen meines Homeoffice-Kollegen etwas ab. Da erledige ich dann Aufgaben, die weniger Konzentration brauchen.
- Biorhythmus kennen lernen und nutzen: Bin ich eine Nachteule oder eine Lärche? Wenn der Arbeitsvertrag es erlaubt, dann unbedingt die Arbeitszeiten nutzen, die dem eigenen Biorhythmus entsprechen. Bei mir ist es eben das Arbeiten am Abend zwischen 20.30 und 23 Uhr. Dafür bringe ich vor 10 Uhr morgens keine Konzepte zu Stande und nutze diese Zeit immer zum “Abarbeiten”, Telefonieren und Papierkram erledigen. Mittagspausen daheim kann man auch individuell setzen, denn kein Kollege ruft um 12 Uhr zum Lunch in der Kantine auf.
- Informelle Gesprächsanlässe kreieren: Das was im Büro oft entsteht, nämlich das Zufallsgespräch, ist im Homeoffice quasi tot. Deshalb richte dir Zeiträume ein oder blocke dir Zeiten für genau solchen Austausch. Das kann ein “Lunch&Learn”, eine virtuelle Kaffeerunde, eine Online-Meditation oder ein Kochabend mit den Kollegen sein. Wenn ihr im Team einen Messenger nutzt, könnt ihr auch vereinbaren, dass man bei einer bestimmten Status-Meldung offen ist für “Flurfunk-Gespräche”. Möchte man konzentriert arbeiten, kennzeichnet man das mit “Bitte nicht stören!”. So trauen sich auch die Kollegen für einen kleinen “Schnack” mal kurz durchzurufen ohne Hemmungen zu haben.
- Beziehungen pflegen und Einsamkeit vermeiden: Anknüpfend an Punkt 4 bedeutet dass die Verbindung zum Team aufrecht zu erhalten. Meetings z.B. mit einem Check-In und Check-out zu gestalten um über Gefühle und persönliche Themen zu sprechen. Wenn ihr nicht allein und isoliert im Homeoffice seit, nutzt doch 2-3mal die Woche die Zeit für einen gemeinsamen Mittags-Spaziergang. Das geht auch mit der Nachbarin, die nebenan oder drei Häuser weiter wohnt.
Als Resilienz-Coach rate ich in diesen Zeiten zudem allen Menschen auch die körperliche Nähe zu suchen: Einen festen “Kuschel-Partner”, den man trotz Kontaktbeschränkungen in den Arm nehmen kann. Das muss kein Partner sein, dass kann vielleicht auch eine beste Freundin oder der/die Nachbari*n sein, den/die man fest umarmen kann. Das immer wieder zu nutzen, wenn man es braucht, stärkt die psychische Balance.
Du wirfst, auch mit Blick auf das Arbeitszeitgesetz, die Frage auf, ob das Teilzeit-Vollzeit-Modell noch zeitgemäß ist. Was würdest Du ändern, wenn Du Dir etwas wünschen könntest und warum? Und wie könnte dieser Spagat in der Arbeitswelt klappen – wie Du geschrieben hast, können ja nicht alle Jobs und Rollen zeitlich so flexibel arbeiten?
Miriam: Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass man von heut auf morgen das Arbeitszeitmodell der totalen Zeiterfassung z.B. mit Stempeluhr, welches eben noch aus dem Industriezeitalter stammt, völlig abzulegen. Aber ich wünsche mir eine offene Diskussion über die Tatsache, dass wir hier neue Wege gehen müssen. Das erlebe ich z.B. in Diskussion mit Unternehmen und Teams, die schon “weiter” sind und z.B. kollektive oder holokratische Entscheidungsprozesse eingeführt haben. Hier machen Kontrollmechanismen wie “Arbeitszeitüberwachung” in meinen Augen kein Sinn mehr.
Ich glaube als agile Coach mit Blick in die Zukunft, dass wir viele Standard- und Routinetätigkeiten, langfristig automatisieren können und damit Menschen mehr wertschöpfende und kreative Arbeit verrichten dürfen. Auch die Arbeit am Menschen, z.B. in der Pflege braucht Zeit, die nicht mit der Stechuhr gemessen wird, so wie es leider heute mit den Pauschalen der Fall ist. Schauen wir zu Buutzorg in den Niederlanden können wir ein Gefühl dafür bekommen, wie Arbeitszeit z.B. im Pflege- und Gesundheitsbereich neu gestaltet werden kann. Ich glaube der erste Schritt ist immer: Kann diese Tätigkeit zeitlich und/oder räumlich unabhängig ausgeführt werden? Und wenn ja, welches Arbeits(zeit)vertragsmodell macht hierfür Sinn?
Was sollten aus Deiner Sicht die nächsten Schritte sein, um Arbeitszeit in unserer Gesellschaft neu zu denken?
Miriam: Zunächst einmal sollten wir bedenken, dass hinter der Frage nach Arbeitszeit immer auch ein gewisses Menschenbild und eine Haltung steckt: Glaube ich, dass Menschen eine bestimmte Zeit (normal 8h) brauchen, um diese Tätigkeit sinnvoll zu verrichten oder glaube ich, dass Menschen ihre Arbeit immer von ganzem Herzen gut machen nach besten Wissen und Gewissen und gebe ihnen dafür die Zeit, die sie persönlich brauchen oder investieren wollen?
Dazu gehört die Reflexion mit welcher Haltung wir über Arbeit sprechen. Neue Arbeitswelten und Organisationen mit systemisch-autonomer Haltung denken Arbeit (=New Work) anders als Arbeitswelten mit rational-funktionaler (bzw. mechanistischer) Haltung.
Wir reden heute über Diversität und Vielfalt, aber pressen bei der Arbeitszeit die Menschen in starre 8h-Systeme. Daraus resultiert, dass Arbeitszeit oft am “Absitzen”, aber nicht an der Wertschöpfung oder dem Ergebnis gemessen wird. Denken wir Arbeit eher als menschliches Urbedürfnis des Schaffens und Gestaltens und geben jedem Menschen die Zeit, die dieser zur Erledigung braucht oder investieren möchte, dann braucht es fluidere Vergütungs- und Arbeitszeitmodelle. Das Ergebnis wäre vielleicht eine ergebnisorientierte Bezahlung, gemessen am Wert der Arbeit. Arbeitszeit wird damit nebensächlich. Voll- und Teilzeit als Begriffe obsolet.
Anmerkung: Von ganzem Herzen empfehle ich an dieser Stelle das Buch von Lasse Rheingangs: Die 5-Stunden-Revolution aus dem Campus Verlag.
Das sind ein paar meiner Gedanken dazu. Ich glaube im ersten Schritt brauchen wir Raum und Zeit, um einen Dialog zu starten bei dem verschiedene Vertreter der Arbeitswelt zu Wort kommen.
Liebe Miriam, vielen Dank für Deine Zeit und die Einblicke in Dein persönliches Lebens- und Arbeitsmodell, in dem Vollzeit noch nie vorkam. Sowie für die praktischen Work Hacks und die Empfehlungen für erfolgreiche Arbeit im HomeOffice. Toll, dass Du bei der Blogparade und den #TeilzeitPerspektiven dabei warst!
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 10.12.2020 bei Melanie Belitza
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